Cronotastische Weihnachten

Türchen 18

Willkommen im 18. Türchen meines Kalenders! Heute habe ich hoffentlich wieder etwas unterhaltsames, lustiges für Dich: Eine satirische Kunstanalyse. “Etwas” überzogen. Die Analyse, die ich Dir hier zeige und vorspreche, hab ich für meinen Kollegen Jan Gießmann verfasst – für sein neuestes Buch “Beastseller”, dass ich Dir nur dringend empfehlen kann – vor allem, wenn Dir Spiritus Daemonis Spaß gemacht hat.

Kunstanalyse von Berlarons Hütte

Heute werde ich mich dieser Hütte hier widmen. In Ihr wohnt Berlaron, der Mentor von Jans Protagonisten Marc. Hier wird der junge, wenig versprechende Pre-Held ausgebildet. Zumindest gibt Berlaron sein bestes.

Begehbare Installation auf 25×25 qm. Verschiedene Holzarten, Gräser und Stein. Schattennebelwald einer unbekannten Phantastikwelt, Juli 2021. Gemeinschaftswerk der Mentorenfigur Berlaron und seines Erschaffers Jan Gießmann.

Das Kunstwerk, dessen wir heute ansichtig werden, ist in seiner Vielschichtigkeit regelrecht außer- wenn nicht sogar überweltlich. Einer spirituellen Offenbarung nicht unähnlich erschließt sich dem geneigten Beobachter dieser begehbaren Installation ein vielschichtiges Areal, das in jedem Winkel eine andere optische, akustische sowie olfaktorische Überraschung bereitzuhalten scheint, sobald sich das olivgrüne Blätterdach der umgebenden Baumansammlung hinweghebt und den Blick freigibt.

Doch wo soll das suchende Auge des aufgeschlossenen Kunstfreundes Ruhe und Erfüllung finden? Welche Blickführung schwebte den Erschaffern vor? Schon hält der Blick am steinernen Brunnen inne, der in kühnem Optimismus ohne ein vor herabfallenden Blättern oder Körperteilen schützenden Dach errichtet wurde. Schon fixiert er den alten Karren, der keck mit rechten Winkeln brechend vor der hölzernen Fassade auf den Augenblick zu warten scheint, da sein Besitzer beherzt nach seinen Stäben greift, um ihn aus eigener Manneskraft fortzuziehen und neue Welten zu erkunden. Schon itzo scheint er für diesen wohl in ferner Zukunft liegenden Augenblick präpariert zu sein – darf man den gut gefüllten Säcken und Krügen auf seiner großzügigen Ladefläche Glauben schenken.

Überwindet der Beobachter die gegenüber dem Brunnen befindliche Holzbank – angefertigt vor Jahrzehnten, geschlagen mit starker Hand aus einem mächtigen Eichenstamm und nun einzig der Ruhesitz eines nicht in Gebrauch befindlichen Langbogens –, eröffnet sich ihm eine neue Perspektive und das Idyll aus Rast und Stillstand wird abgelöst vom Spiel aus Leben und Tod:

Zum einen erhebt sich zur Linken ein eher kärgliches, quadratisches Domizil, dessen Größe auf den Aufenthalt von inhaftierten Hühnern oder domestizierten Goblins schließen lässt und das von einem Geäst umsäumt ist, das in seiner Starre, Struktur und Dornenbewährtheit dem europäisch-christlich geprägten Beobachter in Anlehnung an eine Dornenkrone Gefangenschaft, Qual und Passion reminiszieren lässt.

Zum anderen scheinen just diese Assoziationen auch im benachbarten Part des Areals ihren Widerhall zu finden: Erwarten den mehr oder weniger freiwilligen Besucher hier doch Utensilien, die auch ohne den olfaktorischen Beweis des Geruchs von Schweiß und Blut an das Leid und die Knechtschaft eines heranwachsenden Kriegers, eines ungeformten Heroen denken lassen. Hier nun findet der zuvor entdeckte Langbogen seine Entsprechung in drei Pfeilen, von denen wenigstens einer sein Ziel in Perfektion erreicht hat. Weitaus weniger Optimismus erfüllt den Beobachter beim Blick auf den zu Holz und Metall erstarrten Krieger, der – von Splittern und Spalten gezeichnet und auf einem massiven Pfahl fußend – den nächsten ungelenken Hieb eines Rekruten erwartet, gegen den er sich zu wehren trotz Schwert in der toten Hand nicht im Stande ist.

Aber all diese Nuancen des Kunstwerkes bilden nur den halbmondförmigen Außenbereich, die Rahmung für sein Herzstück: Das Heim – oder sollten wir es eher die Festung nennen? – des ehemaligen Kriegers, der sich nun in die Rolle des Mentors einfinden muss.

Jener Kontrast zwischen Kampf und Lehre spiegelt sich auch im Inneren der massiven und doch schlichten hölzernen Behausung wieder, wenn der interessierte Beobachter die überraschend robuste Holztür hinter sich lässt und sich langen Reihen von Literatur gegenübersieht, die nach jenen ersten Eindrücken im Freien nicht zu erwarten gewesen waren.

Weitaus passender erscheint da die vermeintlich willkürlich platzierte Armbrust, die – teilweise unter dem Bett verborgen – mit ihrer Pfeilspitze deutlich in Richtung eines eintretenden, womöglich ungebetenen Gastes zeigt.

Spätestens in diesem Augenblick wird auch dem optimistischsten, naivsten Opportunisten klar: „Hier sollte ich nicht sein.“ Und doch lässt das Werk es nicht zu, ihm jetzt den Rücken zu kehren. Spricht doch das einladend knisternde, wärmende Kaminfeuer eine andere Sprache und lädt zum Verweilen auf der bepolsterten, farblich zum umgebenden Wald passenden Bank ein – obgleich man für diese Schlussfolgerung dem daneben befindlichen Kriegshammer keine weitere Aufmerksamkeit schenken sollte.

Sowohl der Hammer als auch das am Bett platzierte Messer lenken den Fokus der Betrachtung wenn nicht zur Flucht, dann doch klar ins Zentrum des rustikalen, kompakten Domizils: Dem unebenen, ursprünglich kreisrund gedachten Tisch, dessen Brandspuren und Beigaben – goldene Dukaten und eine ebenfalls in Mitleidenschaft gezogene Karte – die Fantasie des Beobachters auf eine Reise von Abenteuer und Entdeckungen schicken und ihn mit dem Gedanken zurückkehren lassen, dass dieser Ort noch viele Geheimnisse in sich birgt und doch nur der Anfang einer wenig erquicklichen Reise ist.

Was verbirgt sich hinter der Falltür, die nur spärlich von seinem Besitzer unter einem eigentlich ausreichend großen Teppich verborgen wurde, und war es sein Erschaffer, der sie dem Beobachter bewusst offenbarte, um sich hier zu einem späteren Zeitpunkt eine passende Hintertür zu eröffnen?

Und welche Enigmata und Mysterien erwarten jene mutigen Seelen, die es wagen, aus dem für den Beobachter sichtbaren Areal herauszutreten und – statt den Raum durch die Tür zu verlassen – mittels der neben ihr befindlichen Leiter zu neuen Erkenntnishöhen emporzusteigen?

Aufstieg und Fall mag man im Dualismus jener gegensätzlichen Exitstrategien erkennen, die eine Vorausschau auf die möglichen Wege unseres jungen Prä-Helden andeuten. Ob diese Polarität nun aber bereits vom Erschaffer als kluge Metaebene intendiert gewesen ist, darf zumindest kritisch vom Beobachter hinterfragt werden. Sollte dieser Ort doch einzig als finaler Ruhesitz für einen dahingeschiedenen Krieger gelten, der sich offenkundig noch nicht völlig vom Geschäft des Meuchelns und Mordens hat lösen können und der – sich dessen selbst bis itzo nicht bewusst – von langer Hand als Mentor gedacht wurde. Scheinen der Ausstattung jenes Grundstücks doch deutlich die Spuren einer kurzen, aber effektiven Ausbildung immanent zu sein.

Eingedenk der Tatsache, dass in einem literarischen sowie künstlerischen Werk jedes Detail der Prädestination des Erschaffers unterworfen ist, sollte dem Beobachter zu Bewusstsein geraten, dass jener Ort, dem diese ausführliche, wenngleich prägnante Betrachtung gewidmet wurde, nur der Ausgangspunkt von etwas Großem sein kann.

Wenn Du neugierig auf den Beastseller bist, dann schau doch mal bei Jan vorbei.

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